Immer wieder stellen wir fest, dass Messungen und deren Aussagekraft von Selbstbauern angezweifelt werden, dabei zählt es in Expertenkreisen schon seit Jahrzehnten zum Standard, akustische Messungen zu machen und auf deren Grundlage Lautsprecher zu entwickeln. Woher kommt also die Skepsis vieler Hobbyisten?
Wir können uns gut vorstellen, dass es besonders für Neulinge gar nicht so einfach ist, die Messergebnisse überhaupt interpretieren zu können. Deshalb haben wir uns entschlossen, einen Artikel zu
verfassen, welcher vor allem die Grundlagen behandeln soll. Also legen wir los:
Was ist der Frequenzgang?
Der Frequenzgang zeigt das Verhalten eines Lautsprechers, wenn er ein konstantes Signal über das gesamte Frequenzspektrum wiedergibt. Man lässt dem Lautsprecher also ein elektrisches Signal mit
über allen Frequenzen gleichbleibender Stärke zukommen und misst mit einem Mikrofon das, was als akustisches Signal - also Schall - wiedergegeben wird. Das Spektrum des menschlichen Gehörs liegt
im Bereich von 20-20000Hz, daher wird in der Regel auch in diesem Frequenzband gemessen.
Ein Idealer Lautsprecher würde nun alle Frequenzen gleich laut wiedergeben und der Frequenzgang entspräche einer geraden Linie wie in folgendem Beispiel:
Auf der X-Achse (von links nach rechts) sehen wir die Frequenzen, ausgehend von 20Hz am linken Rand bis zu 20000Hz ganz rechts.
Die Y-Achse bezeichnet den Schalldruckpegel in Dezibel, vereinfacht ausgedrückt die Lautstärke von leise (unten) bis sehr laut (oben).
Die Simulation basiert, wie auch alle folgenden Simulationen und Messungen, auf einem Signal mit 1Watt Leistung. Unsere Beispielbox wäre mit einem Watt also durchgehend 90 Dezibel laut und würde
genau das wiedergeben, was von der Musikquelle und Verstärker an den Lautsprecher geschickt wird.
Bei Verstärkern, CD-Playern usw. liegt am Signalausgang in der Regel übrigens ein nahezu ideales Signal an, selbst günstige Modelle messen sich hier praktisch makellos. Lautsprecher sind in der
Praxis vom Ideal aber leider weit entfernt, weshalb sie auch ganz klar das schwächste Glied in der Hifi-Kette darstellen. Dabei spielt die Preisklasse auch überhaupt keine Rolle, oft sind es
sogar die extrem teuren Exoten, welche sehr weit vom Soll abweichen und damit das Musiksignal deutlich verfälschen.
Wie sieht denn nun ein recht guter Lautsprecher im Vergleich aus? Wir haben hierfür ein einfaches Projekt in die Simulationssoftware Boxsim von Visaton geladen:
Hoppla, selbst bei diesem als recht linear zu bezeichnenden Lautsprecher sind die Abweichungen sehr deutlich. Aber was sagt uns das nun?
Am auffälligsten ist der Bereich auf der linken Seite. Diese zeigt uns das Verhalten der Box im Bass. Am ganz linken Rand bei 20Hz, also bei sehr tiefem Bass, sehen wir, dass die Box bei 1Watt
nur 55dB erreicht. Sie kann sehr tiefen Bass also nicht so wiedergeben, wie es das Signal vom Verstärker eigentlich vorgibt. Gehen wir etwas weiter nach rechts, sehen wir, dass dieser
Lautsprecher bei etwa 60Hz das Niveau erreicht, welches er dann mehr oder weniger konstant über das restliche Frequenzspektrum hält.
Diese Box ist für Musik mit sehr tiefem Bass also eher weniger geeignet.
Abgesehen vom Tiefbass erreicht dieser Lautsprecher einen durchschnittlichen Pegel von rund 85dB bei 1 Watt. Abweichungen nach oben und unten liegen jeweils im Bereich von etwa +-1,5dB, was für
einen Lautsprecher schon als recht gut gelten darf.
Da das menschliche Ohr nicht in jedem Frequenzbereich gleich empfindlich ist, fallen auch Abweichungen vom Durchschnitt unterschiedlich stark ins Gewicht. Außerdem werden Überhöhungen deutlich
störender wahrgenommen als kleine Senken im Frequenzgang. Vor allem im Bereich zwischen 2000Hz und 8000Hz werden Überhöhungen sehr schnell als störend empfunden. Bei unserer Box könnte man die
leichte Betonung bei etwa 1500Hz bemängeln. Diese wird sehr wahrscheinlich nicht dafür sorgen, dass die Box schlecht klingt, aber ein leichtes färben des Klangs ist durchaus möglich. Der kleine
Einbruch bei 3800Hz ist dagegen völlig unkritisch, da er nicht sehr breit und tief ist.
Sehen wir uns nun mal einen anderen Lautsprecher an, der in der Szene durchaus schon des Öfteren gebaut wurde und mit einem Preisschild von über 100€/Stück auch nicht mehr zu den aller billigsten
Bausätzen gehört:
Das ist nicht wirklich schön und hat mit dem Ideal eigentlich nichts mehr zu tun. Zugegeben, diese Box ist etwas kleiner als unser erstes Beispiel, daher ist im Bass noch einmal deutlich weniger geboten. Aber auch der gesamte Verlauf bis in den Hochton schwankt sehr stark und der angesprochene Bereich, in dem das Ohr sehr empfindlich ist, ist hier insgesamt sogar am lautesten.
Zusätzlich gibt es im Bereich von 150Hz bis 1000Hz eine sehr breite Senke, welche zu einem eher höhenbetonten und etwas blutleeren Klang zusätzlich beitragen dürfte. Kurzum, diese Box wird der
Musik ganz deutlich ihren Stempel aufdrücken und spielt nicht ausgewogen.
Nun ist es leider so, dass die Darstellung der Messungen nicht genormt ist und jeder Hersteller und Entwickler hier freie Hand hat. Im Selbstbau hat sich ein Format von etwa 4:3 und eine Range
(also die Spreizung der Y-Achse) von 50dB, so wie wir es hier in den Beispielen dargestellt haben, mehr oder weniger etabliert. Es gibt jedoch durchaus Messungen, die zum Beispiel mit einer Range
von 100dB veröffentlicht werden. Sehen wir mal, was passiert, wenn wir die unausgewogene Box aus dem letzten Beispiel auf diese Art darstellen:
Na schau einer an, das sieht doch schon wieder deutlich besser aus. Der Effekt ist aber natürlich nur optischer Natur - am klanglichen Ergebnis ändert das nichts, es dient nur der Verschleierung von Mängeln bei der Abstimmung. Den gleichen Effekt gibt es natürlich auch, wenn man die Messung horizontal streckt und/oder in der Höhe staucht.
Außerdem kann man die Auflösung der Messung selbst auch noch erheblich beeinflussen, indem man sie glättet. Daher sollte man auf die Darstellung immer ein Auge haben, wir wollen das hier aber
nicht zu sehr vertiefen. Wer dazu mehr erfahren möchte, sollte sich auf der Homepage unseres Mitglieds Alex den Artikel dazu ansehen, dort wird das Ganze sehr ausführlich und anschaulich dargestellt.
Zurück zu unserer nicht ganz so schön abgestimmten Box. Dass man mit sehr wenig Aufwand (etwa 8€ für zusätzliche Weichenbauteile) ein deutlich besseres Ergebnis erreichen kann, zeigt diese
Optimierung, welche auf der ursprünglichen Weiche basiert:
So macht die Box zwar noch immer recht wenig Bass, spielt dafür aber deutlich ausgewogener und damit ehrlicher. Eine ganz klare Verbesserung.
Diese Beispiele beziehen sich alle nur auf den Frequenzgang auf Achse. Das bedeutet, es zeigt das Verhalten eines Lautsprechers, welcher direkt auf ein Mikrofon strahlt (Winkel 0°). Dies ist zwar
die Wichtigste, aber natürlich nicht die einzig relevante Messung, ganz im Gegenteil. Vor allem Messungen seitlich versetzt sind für die Bewertung ebenfalls sehr wichtig. Bei diesen gilt, dass
sie der Achsmessung in Form und Verlauf möglichst ähneln sollten. Prinzipbedingt fallen Messungen außerhalb der Achse zum Hochton hin etwas ab. Hierzu schauen wir uns ein Beispiel aus der Praxis
an, die Lewis von unserem DAU-Mitglied Gazza:
Hierzu muss gesagt werden, dass man in normalen Wohnräumen den Bassbereich nicht richtig messen kann, da die Wellenlängen des Schalls dafür zu groß sind. Die Messungen sind daher erst ab etwa 300Hz aufwärts gültig und zeigen nicht das reale Verhalten im Bass. Den Bass ignorieren wir beim Betrachten der Winkelmessungen.
Zur besseren Unterscheidung sind die Messungen in verschiedenen Farben dargestellt. Schwarz (0°), hellgrün (15°), dunkelgrün (30°), rot (45°) und grau (60°). Die Gradwerte geben an, in welchem
Winkel das Mikrofon bei der jeweiligen Messung zur Box stand.
Da Gazza mit einer sehr hohen Auflösung gemessen hat, wirkt der Verlauf etwas unruhiger, insgesamt ist dieser Lautsprecher aber äußerst ausgewogen. Die Winkelfrequenzgänge fallen wie erwähnt im
Pegel ein wenig ab, sind aber ebenfalls sehr ausgewogen und es gibt in keinem Bereich Überschneidungen. So soll es sein.
Ein anderes Verhalten zeigt eine zum Vergleich herangezogener Bausatz, welcher mit einem Stückpreis von knapp 800€ für Selbstbauverhältnisse schon als recht kostspielig bezeichnet werden darf:
Hier erkennt man recht deutlich, dass die Winkelfrequenzgänge bei 30° und 45° (lila und schwarz) im Bereich um 3000Hz sogar lauter sind als der Frequenzgang auf Achse. Es wird in diesem Bereich
also seitlich sehr viel Schallenergie in den Raum abgegeben. Wenn man nun noch bedenkt, dass bei üblichen Abhörentfernungen erheblich mehr Schallenergie über Reflexionen beim Hörer ankommt als
auf direktem Weg vom Lautsprecher zum Ohr, muss man dieses Abstrahlverhalten als sehr kritisch ansehen. Eine gewisse Aggressivität, zum Beispiel bei Frauenstimmen oder Klavieranschlägen, dürfte
die Folge dieser Abstimmung sein. Und das, obwohl sich die Box auf Achse sehr ausgewogen und linear misst.
Machen wir nun noch einen kleinen Ausflug in den Fertigsektor, um zu sehen, wie sich denn die global Player so vor dem Messmikro schlagen. Hierfür ziehen wir eine Box heran, welche trotz ihres
Paarpreises von satten 14.000€ durchaus gut verkauft wurde:
Wie man sieht, kochen auch die Großen nur mit Wasser und selbst eine so teure Box bietet erhebliches Verbesserungspotenzial. Der Große Lautsprecher macht ordentlich Bass, was man, wie wir gelernt
haben, daran erkennt, dass der Frequenzgang im Verlauf nach links erst ab etwa 50Hz deutlich abfällt. Zwischen 50Hz und etwa 1000Hz verläuft die Kurve noch relativ ausgewogen mit einem
durchschnittlichen Pegel von etwa 88 Dezibel. Anschließend fällt er deutlich ab, um dann bei 3kHz plötzlich wieder stark anzusteigen. Hier liegt vermutlich die Trennfrequenz zum Hochtöner, die
Ankoppelung von Mittel- und Hochtöner ist offensichtlich nicht optimal. Der Hochtöner selbst läuft eigentlich sehr gut bis zu den obersten Höhen. Allerdings ist er im Schnitt etwa 92dB laut, also
ganze 4 Dezibel lauter als der Rest der Box.
Was sind nun die Folgen aus einem solchen Verhalten?
Wir erinnern uns, dass zu viel Energie bei 3kHz im vorangegangenen Beispiel zu einem aggressiven Klangbild führen, hier passiert genau das Gegenteil. Die Breite Senke sorgt für deutliche
Zurückhaltung und ein etwas bedecktes Klangbild. Wer ein Klavier schon mal live gehört hat, wird bestätigen können, dass vor allem in den höheren Lagen die Anschläge durchaus eine gewisse Härte
und hohe Dynamik bieten - Dies wird dieser Lautsprecher deutlich softer als ein echtes Klavier darstellen.
Damit der Lautsprecher nun nicht zu weich klingt, haben die Ingenieure einen akustischen Trick angewendet und den Hochtöner einfach etwas zu laut abgestimmt. Dadurch wird hohe Auflösung und
Frische im Klangbild suggeriert. Das menschliche Gehör ist für solche Tricks leider auch sehr empfänglich und stellt sich auf dieses Klangbild schnell ein, weshalb der Hersteller damit recht
großen Erfolg hat.
Doch machen wir uns nichts vor, dieser Lautsprecher spielt Musik deutlich verfärbt ab.
Am Ende möchten wir noch ein paar Phrasen, welche im Bezug auf Messungen immer wieder auftauchen, klar stellen:
"Ich höre aber Musik und keine Messsignale"
Natürlich hören wir Musik, aber ein Lautsprecher, der ein Messsignal verfälscht wiedergibt, wird auch Musik verfälscht wiedergeben.
"Nicht alles was man hören kann, kann man auch messen"
Anders herum wird ein Schuh daraus. Nicht alles, was man hören kann, kann mit einer einfachen Messung dargestellt werden. Man kann aber erheblich mehr messen, als man tatsächlich hören
kann.
"Das beste Messinstrument sind die eigenen Ohren"
Mitnichten. Ein modernes Mikrofon ist weit empfindlicher, präziser und zuverlässiger als das menschliche Ohr. Außerdem kennt es keine Suggestion, was beim Mensch nahezu immer eine Rolle
spielt.
"Freifeldmessungen machen keinen Sinn, wenn man im Raum hört"
Nur bei Freifeldmessungen kann man das tatsächliche Verhalten eines Lautsprechers erkennen. Raummessungen beinhalten immer Reflexionen, welche die Messungen erheblich beeinflussen. Da das Ohr
durchaus zwischen Direktschall und Reflexionen unterscheiden kann, verfälscht man einen Lautsprecher, wenn man ihn im Raum abstimmt. Daher kommen auch oft die negativen Erfahrungsberichte von
mittels Software korrigieren Lautsprechern.
"Messfetischisten schauen nur auf ihre Frequenzgänge"
Das trifft bei uns auf keinen Fall zu. Die Entwicklung geschieht zwar mittels Messtechnik, aber jeder Lautsprecher muss einen abschließenden Hörtest mit ausgewählten Musikstücken bestehen. Tut er
das nicht, wird weiter daran gearbeitet.
"Zu viele Weichenbauteile schaden dem Klang"
Meistens ist das Gegenteil der Fall. Wer die Weiche zu simpel gestaltet, verschenkt erhebliches Potenzial. Oft bringen zusätzliche Korrekturen eine Box klanglich einen großen Schritt weiter.
Leider gibt es auch Entwickler, die es aus Kosten- oder Kompetenzgründen bei zu simplen Weichen belassen und diese Phrase dann als Ausrede nutzen. Dass es auch Entwickler gibt, die es hin und
wieder etwas mit dem Aufwand übertreiben, wollen wir aber nicht verschweigen.